Liebe Leserin, lieber Leser,
gerade räume ich eine Wohnung leer. Vom großen Möbelstück bis zur kleinen Büroklammer muss ich überlegen und entscheiden: was soll aufgehoben werden, was kann weg.
Bei manchen Dingen fällt mir die Entscheidung leicht, bei anderen fällt sie mir schwerer.
Bei den Büchern zum Beispiel. So viele Bücher, die sich über die Jahre angehäuft haben,
im beruflichen Zusammenhang, wie auch privat.
Hin und wieder schlage ich ein Buch auf und lese darin.
In einem dieser Bücher habe ich ein Gedicht des Schweizer Pfarrers und Schriftstellers, Kurt Marti gefunden, geboren 1921 in Bern und 2017 auch dort gestorben mit 96 Jahren.
Wir schielen / nach Christus hier /
und Erfolgen dort. //
Wir schielen / nach Christus hier /
und dem Mammon dort. //
Wir schielen / nach Christus hier /
und den Waffen dort. /
Hilf, Höchster, / und heil’ uns Herz / und Schielaug zugleich. //
Komm, richte / allein nur auf / Christus unseren Blick. //
Erwecke / den Mut uns zu / Wagnis und Verzicht, //
dass Friede / aufblühen kann / in heiliger Kraft.
Kurt Marti hat mit seinen Texten angeeckt. Er war ein Querdenker, der viele genervt hat. Und gehörte doch neben Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch zu den Großen der Schweizer Literatur.
Nicht nur der Schweizer Literatur. Er wollte gern „Den Himmel anzetteln auf Erden“, dieser „Dichter, Zeitzeuge und Gottesmann“.
Apropos „Zeitzeuge“:
Ich weiß nicht, wann er dieses Gedicht vom Schielen geschrieben hat, aber es war vor unserer Zeit.
Es war in einer Zeit, in der die Menschen oder doch ein Großteil auch Christus noch im Blick hatten.
2024, in dem Jahr, in dem es erstmals weniger Protestanten und Katholiken gibr als solche, die keinem christlichen Bekenntnis angehören, konfessionslose oder anders Glaubende,
in diesem Jahr, in dem uns bewußt ist wie kaum vorher, dass wir in diesem säkularisierten Deutschland eine Minderheit sind,
in dem Religion allgemein im Abschwung ist und sich in Konfessionen nur wenige wirklich gut auskennen,
in diesem Jahr, in dem die meisten von uns nach allem möglichen schielen:
Erfolge
Mammon
Waffen
um es mit Kurt Marti zu sagen,
aber nach so viel anderem mehr: Frieden vor allem, Frieden in Nah und Fern
Gerechtigkeit, einem Klima, mit dem man gut leben kann,
genug an Nahrung und Kleidung, bezahlbarem Wohnraum,
einem lebenswertem und wertschätzendem sozialen Umfeld und so weiter und so weiter … –
wer hat in dieser Zeit auch noch Christus im Blick?
Und sei es schielend?
Kurt Marti sagt es ganz beherzt,
er fleht garadezu darum:
Hilf, Höchster, / und heil’ uns Herz / und Schielaug zugleich. //
Komm, richte / allein nur auf / Christus unseren Blick. //
Und dann wird er noch einmal konkret:
Erwecke / den Mut uns zu / Wagnis und Verzicht, //
dass Friede / aufblühen kann / in heiliger Kraft.
Das ist nun so eine Forderung, zumal im Dezember, zu VERZICHT aufzufordern.
Wir werden doch seit Wochen schon wieder geradezu bombardiert mit allen möglichen Angeboten,
um „das Fest“ gebührend feiern zu können.
Ich lasse hier Kurt Marti gerade noch einmal dazwischengrätschen:
„Die Ware Weihnacht ist nicht die wahre Weihnacht.“
Und er schreibt von WAGNIS, zu dem uns Gott Mut schenken möge.
„dass Friede / aufblühen kann / in heiliger Kraft.“
Wir hören in den letzten Jahren viel von Krieg und Frieden,
von Kriegstüchtigkeit und dem Feind nicht weit weg von hier.
Da kommt so ein Querdenker wie Kurt Marti doch gerade richtig,
der uns Mut zum Wagnis nahelegt,
damit Frieden aufblühen kann.
Das Querdenken gehört übrigens zum Alphabet der Bahnhofsmission, Buchstabe Q, So, wie N für Nächstenliebe steht.
Wir feiern Gottesdienste auf der Schwelle zum 1. Advent oder an einem beliebigen Adventssonntag.
Wobei Advent „Ankunft“ bedeutet, die Ankunft Gottes bei den Menschen, die Weihnachten mit der Geburt Jesu in Bethlehem gefeiert wird.
Die Adventszeit ist die Vorbereitungszeit auf diese Fest und ist eine Zeit der Besinnung.
Jedenfalls für uns Schielende, die Christus noch nicht ganz aus dem Augen verloren haben.
oder füt die Suchenden, denen Erfolg, Mammon, Waffen und dergleichen doch nicht als der Weisheit letzter Schluss erscheint.
Kurt Marti hat Jesus gern als seinen «Herausforderer» bezeichnet, mit dem er nie so richtig fertig geworden ist.
Noch ein schönes adventliches Zitat, natürlich von Kurt Marti:
„Ich kenne den Gott, der in Jesus Mensch geworden ist …, nur so weit, als er in Jesus Mensch geworden ist.“ … Dieser „Jesus selbst … wollte nicht Kult, sondern Nachfolge! Und gerade darin erweist er sich als das Mensch gewordene Wort Gottes – des Gottes, der Liebe ist.
Wir als Bahnhofsmission sind ein Teil dieser Bewegung. Mit Mut und Wagnis. Immer wieder neu.