Brich mit den Hungrigen dein Brot – Ein Gottesdienst anlässlich 125 Jahren Bahnhofsmission Kassel
Wie feiert man ein Jubiläum angemessen? Das kommt auf das Jubiläum an. 125 Jahre Bahnhofsmission heißt auch 125 Jahre soziales Engagement oder anderes ausgedrückt: 125 Dienst für andere.
Richtung weisend ist ein Lied, das wir in Gottesdiensten oft singen und das Richtung weisend auch für die Arbeit der Bahnhofsmission ist. Seine Kernaussagen sind:
Brich mit den Hungrigen dein Brot, sprich mit den Sprachlosen ein Wort,
sing mit den Traurigen ein Lied, teil mit den Einsamen dein Haus. Such mit den Fertigen ein Ziel.
Auch in dem Gottesdienst, den wir zum 125jährigen Bestehen der Bahnhofsmission Kassel gefeiert haben, haben wir dieses Lied gesungen und dessen Kernaussagen eingehender bedacht.
Wir? Das waren die, die wir diesen Gottesdienst in der katholischen Kirche St. Familia vorbereitet haben, Pfarrer Dr. Harald Fischer, Pfarrerin Tamara Morgenroth, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Kassel, die Leiterin der Kasseler Bahnhofsmission Karin Stürznickel-Holst und der Schreiber dieses Beitrags, Holger Wieholdt, Pfarrer i.R. und – seit 6 Jahren Ehrenamtlicher in der Bahnhofsmission Kassel.
Mitgewirkt haben noch andere, Ehrenamtliche und Gäste und wenn man den Kreis noch weiter ziehen will, auch noch einige Ehrengäste, die in Kirche und Diakonie sowie in der Politik herausgehobene Ämter und Funktionen haben oder hatten, darunter der aktuelle Sozialdezernent Dr. Norbert Wett, die Leiterin des Sozialamtes Anja Deiß-Fürst die ehemalige Sozialdezernentin und Bürgermeisterin Ilona Friedrich, Johannes Bleck, geschäftsführender Regionsleiter des Caritasverbandes Nordhessen-Kassel, von der Bundesgeschäftsführung der Bahnhofsmission in Berlin Dr. Gisela Sauter-Ackermann und Klaus-Dieter Kottnik, Pfarrer i.R. und Vorsitzender der Bahnhofsmission Deutschland e.V., Dekan Dr. Michael Glöckner, Kassel und und und … . Allesamt Mitwirkende im Sprechen und Hören, im Singen und Beten, im Spenden für den guten Zweck nicht zuletzt.
Unabhängig von den ehemaligen oder aktuellen Funktionen waren wir schlicht Gemeinde an diesem Freitag nachmittag in der Kirche St. Familia, wo der „Hausherr“ Harald Fischer, wenige Tage vor seinem Eintritt in den Ruhestand, auch predigte, über
Die Speisung der Fünftausend aus dem Evangelium nach Matthäus 14,13–21 :
13Als Jesus das hörte, zog er sich allein von dort mit dem Boot in eine einsame Gegend zurück. Aber die Volksscharen hörten davon und folgten ihm zu Fuß aus den Städten nach. 14Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen und heilte ihre Kranken. 15Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät geworden. Schick die Leute weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen! 16Jesus aber antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! 17Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische hier. 18Er antwortete: Bringt sie mir her! 19Dann ordnete er an, die Leute sollten sich ins Gras setzen. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten 20und alle aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrig gebliebenen Brotstücke ein, zwölf Körbe voll. 21Es waren etwa fünftausend Männer, die gegessen hatten, dazu noch Frauen und Kinder.
Eindrücklich das Bild, das er uns vor Augen stellte: die Menschen sollten sich in Gruppen zusammensetzen und teilen, was ihnen gegeben wurde. Das erinnert an unseren Gastraum, wo unsere Hungrigen und Durstigen sich niederlassen, um zu empfangen, was da ist, und was wir austeilen. Es ist ein Geben und ein Nehmen, dort im Evangelium wie hier in unserer Arbeit. Anknüpfend an das oben erwähnte Lied haben wir die Arbeit unserer Bahnhofsmission, unserer Gemeinde in St. Familia, in einer Sprechmotette vor Augen geführt:
1) Wir in der Bahnhofsmission Kassel geben Essen an unsere Gäste aus;
was uns gespendet wurde oder was wir dazu gekauft haben.
Wir belegen Brote und Brötchen,
unsere Gäste bekommen gern auch „etwas Süßes“.
„Nutella, Marmelade, ein Teilchen.“
Die Wünsche sind vielfältig.
Festtage sind, wenn es besondere Aktionen gibt, wenn die Hübner Azubis ein Salatbuffet vorbereiten, wenn Gian-Luca für die Gäste kocht, Carlo spontan zum Pfannkuchen backen vorbeikommt!.
Und immer wieder Kaffee, Tee, Kakao, Wasser.
Wir brechen mit den Hungrigen das Brot.
(2) Zu uns kommen die, die reden wollen.
Über Gott und die Welt.
Manche reden in wohlformulierten Worten und Sätzen,
andere stammeln oder reden wirr.
Und dann sind da noch die, die keine Worte haben,
die sich mit ihrem Essen und Getränk zurückziehen,
in sich versunken die Einen, interessiert und sich umschauend und zuhörend die Anderen.
Wir sprechen mit Allen, den Mitteilsamen, wie den Sprachlosen.
(3) Unsere Bahnhofsmission ist auch ein Ort der Gefühle.
Nicht selten der Traurigkeit. Über das Leben, das unseren Gästen übel mitgespielt hat, über selbst verschuldetes Elend, über verpasste Chancen. Ein Erlebnis für alle Beteiligten ist, wenn die Traurigkeit abnimmt, und die Freude zunimmt. Und manchmal, wie in unserem Adventsgottesdienst, da singen wir sogar miteinander. Sing mit den Traurigen ein Lied. Sehr gern!
(4) Einsamkeit hat viele Namen und viele Gründe.
Einsam kann man auch in der Menge sein,
ganz allein in der kleinen Wohnung im Mietblock
oder im Schlafsack auf der Straße.
Gegen Einsamkeit hilft Gesellschaft.
Wir sind Gesellschafter und Gesellschafterinnen gegen die Einsamkeit,
und wir teilen gerne unser Haus und unsere Räumlichkeit
mit denen, die einsam sind und Gemeinschaft suchen.
(5) Und die Fertigen? Sind das die Vollkommenen,
die Alles wissen, denen man nichts mehr erzählen muss?
Die schon viel erreicht haben auf ihrer Lebensreise?
Auch sie sind willkommen.
Wie auch die Abgerissenen, die fertig sind im entgegen gesetzten Wortsinn.
Wir überlegen mit ihnen gemeinsam, was das Ziel ihrer Reise sein kann.
Und dann haben wir Brot und Trauben miteinander geteilt,
wie wir unser Leben miteinander teilen, wir, die Gastgeber und unsere Gäste,
und haben uns so der Gemeinschaft versichert, zu der wir eingeladen sind,
zu der Gemeinschaft der Glaubenden und Berufenen,
das, was uns Jesus Christus gelehrt hat, zu leben.
Ein Agape-Mahl, wenn man so will, in einem Wort-Gottesdienst.
Der Vollständigkeit halber seien auch die Fürbitten erwähnt, gern zum Nach-Beten:
Barmherziger Gott,
Du bist ein Gott, der dort zu finden ist, wo die Menschen hungern,
nach einem Stück Brot, einem heißen Kaffee, einem freundlichen Wort,
nach Nähe und Wärme und Gerechtigkeit.
In Deinem Namen wollen wir handeln – auch in der Bahnhofsmission, deren Jubiläum wir heute feiern. Unsere Fürbitten bringen vor Dich und rufen: Herr, erhöre uns.
Wir bitten Dich für die Menschen, die sich verloren fühlen, keinen Halt finden und auf der Suche sind nach einem Ort, wo sie angenommen sind. Hilf uns, dass wir ihnen unsere Herzen und Türen öffnen.
Wir rufen: Herr, erhöre uns.
Wir bitten Dich für die Menschen, denen es am Nötigsten fehlt: an Essen und Trinken, einem Dach über dem Kopf, medizinischer Versorgung. Lass uns teilen, was wir haben und damit zeigen, dass genug für alle da ist.
Wir rufen: Herr, erhöre uns.
Wir bitten Dich für die Haupt- und Ehrenamtlichen, die sich in der Bahnhofsmission, aber auch in Beratungsdiensten und Treffpunkten in Diakonie und Caritas für andere einsetzen und so zeigen, dass Du niemanden verloren gibst. Schenke ihnen Kraft, Mut und Besonnenheit bei ihrem wichtigen Dienst.
Wir rufen: Herr, erhöre uns.
Wir bitten Dich für all diejenigen, die Verantwortung tragen in Kirche, Politik und Gesellschaft, dass sie Entscheidungen treffen, die geprägt sind von Weitsicht, Weisheit und Menschlichkeit.
Wir rufen: Herr, erhöre uns.
Wir bitten Dich für uns alle, dass wir erkennen, was uns eint und nicht auf das schauen, was uns trennt. Lass uns eintreten für eine Gesellschaft, in der alle Menschen einen Platz haben und niemand wegen seines Glaubens, seiner Herkunft oder aus anderen Gründen verfolgt oder ausgegrenzt wird.
Wir rufen: Herr, erhöre uns.
Und wir haben unserer Gestorbenen gedacht, eine Kerze für sie angezündet und gesprochen:
Wir wollen auch die nicht vergessen, die heute nicht mehr unter uns sind. Wir befehlen Dir unsere Verstorbenen an: die Ehrenamtlichen, die ihr Leben in den Dienst der Bahnhofsmission gestellt haben und die Gäste, die Teil unserer Gemeinschaft waren. Sie alle haben bei Dir, Gott, nun ein ewiges Zuhause gefunden. Wahrlich nicht zuletzt: Wir sind Kirche am Bahnhof und manchmal auch darüber hinaus. (Holger Wieboldt)
